Für das deutsche Pflegesystem herrscht dringender Reformbedarf, denn demografische und gesellschaftliche Entwicklungen werden es in den kommenden Jahrzehnten an die Belastungsgrenze bringen. Bereits 2024 hat die Pflegeversicherung laut GKV-Spitzenverband das Jahr mit einem Defizit in Höhe von 1,54 Milliarden Euro abgeschlossen.
Auch für dieses Jahr wird trotz der kürzlichen Beitragserhöhung ein Defizit von rund einer halben Milliarde Euro erwartet. Ungeachtet dessen werden die Deutschen jedoch immer älter und pflegebedürftiger, gleichzeitig müssen sie dafür immer höhere Zuzahlungen aufbringen. Entsprechend notwendig ist in diesem Kontext die Bereitstellung von altersgerechtem Wohnraum – auch er fehlt vielerorts schon heute.
Gesellschaft, neue Regierung und Wirtschaft stehen vor riesigen Aufgaben. Zur Lösung braucht es eine andere Perspektive auf die Pflegeversorgung – über bestehende Strukturen hinaus. „Die Schere zwischen dem, was wir haben, und dem, was wir brauchen, wird größer. Sollte sich dieser Trend fortsetzen, kann sich daraus ein Pflegenotstand entwickeln.“
„Umso dringender ist die nächste Bundesregierung gefragt, gemeinsam mit Sozial- und Immobilienwirtschaft Lösungen zu finden. Die neue Koalition aus Union und SPD will die gravierenden Probleme in der Pflege und Pflegeversicherung angehen – doch das muss schnell geschehen. Im Frühjahrsgutachten des Zentralen Immobilien Ausschusses haben wir bereits Handlungsempfehlungen wie den Abbau von Investitionshemmnissen oder die Vereinheitlichung landesrechtlicher Regelungen genannt.“
„Diese Perspektive auf die Pflegeversorgung muss dringend in konkrete Maßnahmen überführt werden“, sagt Ralf Licht, Chief Development Officer der Carestone Gruppe und stellvertretender Vorsitzender im Ausschuss Gesundheitsimmobilien des ZIA (Zentraler Immobilien Ausschuss e.V.).
Mehr Pflegebedürftige als bisher angenommen
Viele Daten und Studien verdeutlichen die zukünftigen Herausforderungen. So ermittelte das Pestel-Institut 2024, dass in Deutschland etwa 2 Millionen altersgerechte Wohnungen fehlen. Laut RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung und laut Institute for Health Care Business sind bis 2040 Investitionen zwischen 80 und 125 Milliarden Euro bei Pflegeimmobilienneubauten und -revitalisierungen nötig.
Der Arbeitgeberverband Pflege e.V. (AGVP) mahnt den dringend notwendigen Neubau von jährlich 200 Pflegeeinrichtungen an und im Neunten Altersbericht der Bundesregierung wird angenommen, dass die Zahl der Pflegebedürftigen bis 2055 um über 30 Prozent auf 7,6 Millionen wachsen wird.
„Doch für die Pflegevorausberechnung wurde nur der reine Alterungseffekt berücksichtigt, nicht aber, dass auch die Pflegequote steigen könnte – also der Anteil pflegebedürftiger Menschen in jeder Altersgruppe. Das würde die Zahlen dramatisch erhöhen. Demnach gäbe es bereits 2035 über 7 Millionen Pflegebedürftige.“
„Es gilt also, nicht nur die vorhandenen Pflegestrukturen zu stärken, sondern vor allem auch die Schaffung von altersgerechtem Wohnraum im Bestand und Neubau zu fördern, um die bedarfsgerechte Versorgung von Pflegebedürftigen sicherzustellen“, so Licht. Folgende Punkte können laut Licht einen wesentlichen Beitrag zur Reformierung des deutschen Pflegesystems leisten:
1. Neubauoffensive und Beseitigung von Investitionshemmnissen
Der Neubau altersgerechter Wohnungen ist ein zentraler Baustein zur bedarfsgerechten Versorgung von Pflegebedürftigen. Aktuell wird der Bau jedoch durch hohe Baukosten, knappe Grundstücke und eine oft unzureichende Berücksichtigung in der kommunalen Planung erschwert. „Senioren- und Pflegeimmobilien könnten deshalb mit staatlich gefördertem Wohnungsbau innerhalb der Sozialquote gleichgestellt werden. Über eine derartige Quote würde der Wettbewerb um Baugrundstücke mit dem klassischen Wohnungsbau entschärft“, sagt Licht.

Ralf Licht von Carestone / © carestone.com
2. Vereinheitlichung landesrechtlicher Regelungen
Unterschiedliche Landesregelungen und Vorschriften für Pflegeimmobilien und deren Finanzierung erschweren die Realisierung der Immobilien. Die verschiedenen Anforderungen an die Immobilien und zur Refinanzierung belasten Projektentwickler, Betreiber, Investoren und Banken in der Planungsphase durch fehlende Transparenz und hohe Aufwände. Dies bremst auch das Wachstum großer Betreiber, die in mehreren Bundesländern agieren.
„Wir benötigen einheitliche Anforderungen, etwa in Bezug auf die Einzelzimmerquote, den Umgang mit Doppelzimmern, Raumgrößen oder Gemeinschaftsflächen. Eine einheitliche Musterbauordnung könnte qualitativ hochwertige Standards setzen und das serielle Bauen erleichtern. Gleichzeitig müssen die I-Kostensätze der Sozialhilfeträger die Kosten der Immobilien decken“, fordert Licht.
3. Sanierung von Bestandsbauten fördern
Um den Bedarf an altersgerechtem Wohnraum zu decken, muss sich der Blick auch auf Bestandsbauten richten. Insbesondere die energetische Sanierung nimmt dabei eine zentrale Rolle ein. „Nachhaltig aus- und umgebaute Pflegeimmobilien bieten viele Vorteile. Bei den energieeffizienten Häusern reduzieren sich die Nebenkosten und sie bieten wieder moderne Wohn- und Arbeitsumgebungen für Senioren und Pflegekräfte“, so Licht.
„Die Verbindung von Nachhaltigkeit und Wirtschaftlichkeit ist essenziell für den langfristigen Erfolg der Immobilien. Denn nur resiliente und bedarfsgerechte Gebäude, die wirtschaftlich betreibbar sind, bieten Mehrwerte für die Gesellschaft.“ Somit sollten energetische Sanierungen von den Sozialhilfeträgern als betriebsnotwendig anerkannt, verbindlich refinanziert und durch Zuschussprogramme staatlich unterstützt werden.
4. Privates Kapital für wachsenden Bedarf einsetzen
Für den Neubau und die Sanierung der künftigen Immobilien wird Kapital benötigt. Öffentliches oder freigemeinnütziges Kapital wird für die Bedarfsdeckung bei Weitem nicht ausreichen, es braucht also zwingend private Investoren. „Schon jetzt wird das gesamte Pflegesystem in Deutschland maßgeblich von privatem Kapital getragen“
„Das gilt es zu berücksichtigen und es gilt, für verlässliche Rahmenbedingungen zu sorgen, um die notwendigen Planbarkeiten zu schaffen. Dass dies funktioniert, zeigen die KfW-Förderprogramme oder Instrumente wie die Möglichkeit zur degressiven Immobilienabschreibung. In unserem Kontext profitieren private Investoren ebenso wie die institutionellen ganz direkt“, berichtet der CDO von Carestone.
5. Alternative Wohn- und Versorgungsformen von Senioren realisieren
Klassische Pflegeeinrichtungen und die vollstationäre Pflege werden für die Versorgung von Seniorinnen und Senioren zukünftig nicht ausreichen. Eine Ausweitung des traditionellen stationären Angebots um hybride Wohnformen ist notwendig und bereits gängige Praxis. „Im Idealfall sehen wir stationäre und Tagespflege sowie betreutes Wohnen unter einem Dach.“
„Dadurch werten wir heute schon Quartiere auf und erschließen sie für unterschiedliche Generationen. Doch es müssen mehr Flächen für diese Wohnformen ausgewiesen werden – möglichst mit eigener Nutzungsart im Bauplanungsrecht. Dadurch wären definierte Kontingente für Projekte vorbehalten, die seniorengerechten Wohnraum schaffen und zu einer altersgerechten Durchmischung der Quartiere beitragen“, fordert Licht.
6. Arbeitsbedingungen für Fachkräfte verbessern
Eine ausreichende Anzahl von Fachkräften stellt eine unabdingbare Voraussetzung für die adäquate Versorgung von Pflegebedürftigen dar. Angesichts der Größe der Aufgabe müssen dafür bestmögliche Bedingungen geschaffen werden. Das beginnt bei der Ausbildung und endet bei Betriebsorganisation und der Nutzung digitaler Technologien.
Laut einer Studie des Bundesministeriums für Gesundheit zur Arbeitsplatzsituation in der Akut- und Langzeitpflege aus dem Jahr 2023 will die Mehrheit der beruflich Pflegenden etwa einen digital unterstützten Arbeitsplatz. 80 Prozent der Befragten wünschen einen stabilen Internetzugang auf der Arbeit. Auch die Einführung der elektronischen Patientenakte zur Unterstützung der Pflege oder eine elektronische Pflegedokumentation wird dort von einer deutlichen Mehrheit der Befragten gefordert.
„Natürlich sind moderne Pflegeimmobilien ein wesentlicher Faktor in dieser Betrachtung und die Grundlage für ein attraktives Arbeitsumfeld. Die gemeinsame Planung mit unseren Betreiberpartnern im Vorfeld ist die Grundlage für eine gute Kommunikation in jedem Haus. Im Ergebnis stehen dann vernetzte Einrichtungen sowie kurze Wege oder auch Ladesäulen auf den Parkplätzen, um nur ein paar kleine Beispiele zu nennen“, schließt Licht.
Quelle / Fotos: carestone.com