Bernd Köcher ist Manager eines KI-Fonds bei der Deka Investment. Im Interview mit Handelskontor-News spricht er unter anderem darüber, warum „reine“ KI-Investments derzeit noch die Ausnahme sind, wie sich das ändern könnte – und welche Auswirkungen der Hype um ChatGPT auf die Anlagepolitik seines Fonds hatte.
Herr Köcher, fällt der Begriff „Künstliche Intelligenz“ (KI), denken die meisten derzeit wohl an das Sprachmodell ChatGPT, das im Herbst 2022 einen wahren Hype ausgelöst hat. Ihr KI-Fonds ist ein gutes Jahr früher gestartet. Seit wann steht das Thema bei Ihnen auf der Agenda?
In etwa seit dem Jahr 2015. Zuvor hatte es über ein, zwei Jahrzehnte hinweg keine wesentlichen Fortschritte im Bereich der Künstlichen Intelligenz gegeben. Dann jedoch kamen drei Effekte zusammen: Zum einen ist das Datenvolumen massiv angestiegen – durch Klicks im Internet, Likes in Social Media, Sensor-, Bild-, Audio- oder auch Maschinendaten. Zudem hat sich die Rechenleistung getreu dem Mooreschen Gesetz alle 18 bis 24 Monate verdoppelt.
Spracherkennungen und Übersetzungssysteme
Drittens kam hinzu, dass in den großen Rechenzentren neue Techniken wie Machine Learning eingesetzt wurden. Dies machte Anwendungen wie etwa Spracherkennungen möglich. Dann hat Google Machine Learning für Google Translate eingesetzt und so wurden die Übersetzungssysteme besser.
Das waren die ersten Anwendungen, mit denen man aber selbst noch keinen allzu großen ökonomischen Nutzen generieren konnte. Mit ChatGPT hat man jetzt allerdings ein Programm mit interessanten Anwendungen, die multifunktional sind. ChatGPT kann natürlich auch für simple Übersetzungen verwendet werden, aber man hat darüber hinaus eine Vielzahl von weiteren Möglichkeiten.
Eine Aktie von ChatGPT beziehungsweise von OpenAI, der Entwicklungsfirma, sucht man an den Börsen vergeblich. Nach welchen Kriterien wählen Sie die Werte aus, in die Sie investieren?
Zum einen haben wir die Infrastrukturseite. Das sind die klassischen Enabler: Firmen, die etwa im Halbleiter-Bereich tätig oder die an der Wertschöpfungskette im Halbleiter-Bereich beteiligt sind. Diese Infrastruktur versetzt die KI-Modelle in die Lage, zu lernen. Auf der Infrastrukturseite gibt es außerdem Firmen, die Daten sammeln, zum Beispiel Hersteller von Kamera- oder Sensorsystemen.
Zusätzlich haben wir auf der Infrastrukturseite die Betreiber von Datenzentren. Auf der zweiten Stufe schauen wir uns die Anwendungen an. Anwendungen sind meist in Software- oder größeren Technologiefirmen zu finden. Das können zum Beispiel Softwares zur Spracherkennung oder eine Analyse-Software sein, die auf KI zurückgreifen. Dann haben wir als dritten Teil unseres Fonds-Konzeptes KI-Profiteure.
Das sind nicht nur klassische Technologiefirmen, sondern Firmen, die ihre Produkte und Dienstleistungen mit KI smarter machen oder die Vorreiter sind, wenn es darum geht, durch Automation und KI Kosten zu senken und sich dadurch einen Wettbewerbsvorteil zu erarbeiten. Die KI-Profiteure ermöglichen es uns, unser Portfolio breiter aufzustellen, was gut zum Risikoprofil unserer Kunden passt.
Wenn man sich die größten Positionen der meisten KI-Fonds ansieht, handelt es sich in der Regel um große, US-amerikanische Tech-Unternehmen, deren Aktien, wenn man den Kurs ins Verhältnis zum Gewinn (KGV) setzt, nach klassischen Maßstäben bereits sehr hoch bewertet sind.
Immer noch Umsatzpotential
Solche Indikatoren liefern zweifelsohne wichtige Informationen, aber nur ein unvollständiges Bild. Die Technologiefirmen in den USA haben in den letzten zehn bis 15 Jahren massiv in Forschung und Entwicklung investiert und im KI-Bereich Talente und Wissenschaftler von renommierten Universitäten rekrutiert. Das hat dazu geführt, dass diese jetzt neue Produkte haben, die neues Umsatzpotential bieten.
Ein sich wiederholendes Muster: Große Technologie-Firmen stehen aufgrund von Regulierung vor dem Ungewissen, wenn sie Unternehmen aufkaufen möchten. Also haben diese Unternehmen vor geraumer Zeit entschieden: Wir machen das selbst. Wir bauen die Grundlagenforschung selbst inhouse auf. Und jetzt sieht man anhand der Produkte, dass man neue Mehrwerte generieren kann. Und das ist auch für die Zukunft eine Wachstumsoption. Meistens ist das bei diesen Firmen zudem mit hoher Profitabilität verbunden.
Gleichzeitig ist das für uns natürlich schwierig, weil wir uns auf diese großen Firmen stützen müssen. Wir hätten natürlich auch gerne die Pure Plays, die nur das Thema KI abbilden – Stichwort OpenAI. Da gibt es viele Firmen, die wir wahrscheinlich in den nächsten Jahren an der Börse sehen werden. Und mit mehr Börsengängen werden wir dann auch in der Reinheit der Investments noch mal eine Stufe nach oben gehen können.
Sie hatten bereits angesprochen, dass Ihr Fonds, so wie viele andere KI-Fonds, auch in Unternehmen aus eigentlich IT-fernen Sektoren investiert. Um welche Branchen geht es dabei?
Ein Paradebeispiel sind Landtechnikhersteller. Zum einen nutzen diese sehr intensiv Kamerasysteme, die das Pflanzenwachstum beobachten, mit dem Ziel, die Bewässerung zu optimieren. Kamerasysteme versetzen Landmaschinen in die Lage, autonom übers Feld zu fahren. Das ist Landwirtschaft 4.0 mit einer Optimierung der Erträge, für die Kunden auch bereit sind, mehr zu zahlen
Im Bereich der Financials existieren beispielsweise einige Unternehmen, die mittlerweile zwei Drittel ihrer Umsätze nur mit Data und Analytics erzielen. Da spielt KI mit rein, um Risiken zu berechnen, Simulationen zu machen, teilweise automatisiert Berichte zu erstellen. Dann ist Healthcare ein Bereich, wo mit Blick auf die Medikamentenforschung über KI viel optimiert werden kann.
Weitere Branchen sind der Einzelhandel, Transport und kommerzielle Dienstleistungen. Darunter fallen zum Beispiel Firmen, die Datenbanken für Rechtsanwaltskanzleien anbieten. Auf diese Weise lassen sich zum Beispiel historische Fälle einsehen und mit KI optimiert auswerten, um die Prozessvorbereitung zu optimieren. Wenn auf derartige kuratierte und von Fachleuten geprüfte Daten KI-Systeme gesetzt werden, erzielt das für Kunden Kostenvorteile und erzeugt damit einen echten Mehrwert.
Unter die nicht-klassische IT fällt auch die Internetwerbung. Dort hat KI dazu geführt, dass Werbung noch präziser geschaltet werden kann. Die Implementierung von Künstlicher Intelligenz kann dazu führen, dass die Nutzungszeit ansteigt, Kunden mehr Werbung zu sehen bekommen und die Werbeeinnahmen für die Plattformen steigen.
Zuletzt hat das Thema Künstliche Intelligenz durch ChatGPT eine ganz neue Öffentlichkeit bekommen. Wie sehr hat sich dieser Hype auf die Anlagepolitik Ihres Fonds ausgewirkt?
Als Ende November letzten Jahres ChatGPT als Webversion kam, haben sich relativ schnell relativ viele Menschen damit beschäftigt. Und die Ergebnisse, ob jetzt gut, schlecht, richtig oder falsch, haben zumindest die Vielseitigkeit des Systems unter Beweis gestellt. Das hat viele Firmen auf dem Plan gerufen, die gesagt haben: Okay, wir müssen uns mit diesem Thema beschäftigen. Was bedeutet das für uns, was bedeutet das fürs Geschäftsmodell?
Zudem hat sich gezeigt, dass der Erfolg von ChatGPT Wettbewerber anzieht, also parallele Modelle wie Bard von Google und anderen. Aktuell sind mehrere Dutzend anderer Systeme in Vorbereitung. Und das benötigt enorme Rechenpower. Deshalb haben wir den Schwerpunkt bei der dreiteiligen Aufstellung unseres Fonds mit Infrastruktur, Anwendungen und Profiteuren, die am Anfang relativ gleichverteilt war, stärker auf die Infrastruktur-Seite verschoben.
Stichwort Werte: Unter den größten Positionen in gängigen KI-Fonds finden sich fast ausschließlich US-Unternehmen. Gibt es im KI-Bereich keine interessanten europäischen Firmen?
Wir haben im Technologiebereich in Europa ein bisschen den Anschluss verloren, das muss man so sagen. Die Rahmenbedingungen sind bei uns andere. Da ist zum einen die Finanzierungsseite. Hinzu kommt: Wir haben keinen homogenen Markt, der es ermöglicht, ein Produkt relativ schnell, wie in den USA, hochzuskalieren. Dementsprechend hatten wir in der Forschung Abgänge in Richtung der USA zu verzeichnen.
USA haben die Nase vorn
Es gibt sicherlich Firmen in Europa, die auf der Enabler-Seite stehen, beispielsweise Maschinenbauer für die Halbleiterindustrie. Aber auf der Software-Seite fehlen die Algorithmen und wir haben auch nicht die großen Datencenter-Player wie Microsoft, Google oder Amazon. Zudem sind viele der Firmen, die interessant sein könnten, noch nicht börsengelistet, Celonis aus München zum Beispiel oder DeepL in Köln, eine Firma, die Übersetzungsprogramme entwickelt.
Oder Aleph Alpha in Heidelberg, wo sich wohl SAP schon einen kleinen Anteil gesichert hat. Diese Unternehmen sollten sich einfach trauen – es gibt hier in Deutschland Fonds, die durchaus interessante Investoren sein könnten. Aber das ist sowieso ein Thema in Deutschland – viele der Mittelständler sind nicht an der Börse. Das ist in anderen Ländern anders. Und das wiederum bedingt dann auch, dass das Anlageuniversum in Europa nicht so groß ist.
Zum Abschluss eine Frage zu Ihrer Arbeit: Inwiefern kommt Künstliche Intelligenz bei den Anlageentscheidungen im Fonds zum Einsatz?
Wir setzen Screening-Modelle ein, die zum Beispiel bestimmte Parameter abklopfen. Andererseits ist es für unsere Analysen wichtig, dass wir uns mit Firmen treffen und diese auf Chancen und Risiken abklopfen. Und dabei hilft KI uns auch, zum Beispiel um Meetings schneller vorzubereiten, Daten zusammenzukriegen, die großen Themenbereiche vorzusortieren.
Im quantitativen Fondsmanagement, wo reine Kennzahlen eine bedeutendere Rolle spielen, wenden wir KI-Systeme zur Strukturierung von Portfolios an. Da die Möglichkeiten noch lange nicht ausgereizt sind, forschen wir mit unserer österreichischen Tochter IQAM Invest in einem eigenen Research-Center an weiteren Einsatzmöglichkeiten.
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